Der zweite Teil der Hobbit-Verfilmung von Peter Jackson ist grandios, keine Frage. Abgesehen vom kleinsten Düsterwald aller Zeiten spukt mir am meisten die Filmszene im Kopf herum, in der Gandalf, nachdem er die Zwerge am Eingang zum Düsterwald alleingelassen hat, eine steile Felswand erklimmt, um einen Schacht zu betreten, in dessen Wände scheinbar Gräber für die Nâzgul gehauen sind.
Jau, Gräber für die Ringgeister, schon klar.
Über diese Idee sind einige interessante Diskussionen im Gange:
Gut, geschenkt: Die Nâzgul sind mit dem Sturz Saurons am Ende des Zweiten Zeitalters so sehr geschwächt, dass ihre unsichtbaren, dahingeschwundenen Körper bewegungsunfähig auf dem Schlachtfeld von Mordor eingesammelt werden können, sie liegen ja da (unsichtbar) in ihren (sichtbaren) Rüstungen und schwarzen Klamotten.
Jetzt tun sich aber gleich mehrere logische Probleme auf:
-Warum diese Körper nicht vernichten? Wenn Merry und Eowyn das später schaffen, warum nicht jetzt schon?
-Und umgekehrt: Wenn der berechtigte Einwand geltend gemacht wird, dass diese Körper nicht vernichtet werden können, solange der Eine Ring selbst nicht vernichtet ist, warum gelingt eben dieses dann Merry und Eowyn später auf den Pelennor-Feldern?
-Der Untergang des nördlichen Königreiches durch den Hexenkönig von Angmar spielt sich NACH Saurons Sturz am Ende des Zweiten Zeitalters ab, genauer, in den Jahren 1400 bis 2000 des Dritten Zeitalters. Wenn sich doch damals schon einigen schlauen Leuten (Glorfindel aus Bruchtal, zum Beispiel) der Verdacht aufdrängte, beim Hexenkönig von Angmar könne es sich um einen der Ringgeister handeln und die untoten Körper der Ringgeister seit Saurons Sturz irgendwo begraben/gefangen/eingeschlossen liegen, warum nicht gleich nachschauen, ob die Gräber geöffnet wurden? Nein, lieber schlappe tausend Jahre warten (Bilbos Reise mit den Zwergen zum Erebor findet im Jahr 2941 statt).
-Radagast sagt im Film zu Gandalf, die Gräber der Nâzgul seien von aussen mit hasserfüllten, bindenden Zaubersprüchen voller schwarzer Magie beschmiert worden. Netter Spruch, aber gleich in mehrerer Hinsicht konfus.
Diese Filmszene (die Felswand, die gesprengten Gittertüren, der Schacht, die von innen aufgebrochenen Felsengräber, die Entdeckung, dass die Nâzgul nicht mehr dort sind) trägt für mich eindeutig die Handschrift Guillermo del Toros. Zunächst einmal die verstörende Dramatik der Örtlichkeit, die an Abu Simbel erinnert: Hier sind zufällige Besucher offenbar unerwünscht.
Dann die zweimalige Vertikale, die mich immer wieder schaudern lässt: Die künstlich geglättete Felswand aussen und der tiefe senkrechte Schacht im Inneren. Und Gandalf stürzt natürlich pflichtschuldig zweimal fast ab. Bezogen auf meine Design-Ziele (oder Wunschträume) ist diese Vertikale genau das, was ich in Neverwinter Nights am meisten vermisse und immer wieder herzustellen versuche.
Auf den zweiten Blick jedoch muss man sich fragen: Wer baut so etwas Bescheuertes?
-Wenn ich doch die Leichen der Nâzgul verstecken will, warum dann so ein auffälliges Grab?
-Wenn ich die Nâzgul begraben will, warum lasse ich Schacht und Zugangsweg offen?
-Wieso brauche ich erst die Treppe nach oben und grabe nicht gleich den Schacht nach unten?
-Wozu brauche ich läppische Eisentüren, wenn ich doch auch den ganzen Berg zum Einsturz bringen könnte?
Usw, usf.
Na, da haben Sie Ihre Hausaufgaben nicht gut genug gemacht, meine Herren!
4 Comments
Heiße Diskussionen am frühen Morgen, Uranchos! 😉
Davon abgesehen ist es doch unglaublich, wie sehr man ein Kinderbuch „pimpen“ kann, um einen Actionfilm für Erwachsene daraus zu machen … die Herren Regisseure verlangen definitiv viel von den Fans, und damit meine ich nicht nur die angedeutete Romanze zwischen dem Zwerg und einer Elfe, die im Buch gar nicht in Erscheinung tritt.
Bei dem Film muss man vergessen, was man jemals über den „Hobbit“ wusste oder zu wissen glaubte. Dann kann der Film eine Menge Spaß machen!
Ich meine, in den ersten Worten Bilbos die Erklärung für die Abweichung zwischen Buch und Film zu finden. Dort sagt er nämlich zu Frodo, dass er ihm jetzt die ganze Wahrheit über seine Reise erzählt. Also nicht mehr die Geschichte die er Frodo als Kind erzählt hat (sozusagen FSK 6), sondern die ganze Geschichte in aller Härte. Obwohl ich das Spinnengedicht echt vermisse. Ich finde es auch gut, dass die Geschichte um den Wiederaufstieg von Sauron mal zusammenhängend erzählt wird. Das Zusammensuchen aus Anhängen, Kommentaren und Briefen ist eher was für lange, lange Winterabende oder Ausflüge auf einsame Inseln. Danke an dieser Stelle an Peter Jackson und Team von mir. Die Anhänge bei den DVDs und Bluerays sind wirklich mal gelungene Extras. Hierdurch erhält man meines Erachtens einen Eindruck vom modernen Filmemachen und den Schwierigkeiten für Schauspieler damit umzugehen. Ich bin auf jeden Fall gut unterhalten worden, auch wenn ich das Cliffhanger-Ende vom zweiten Teil direkt als Verstoss gegen die Menschenrechte an Amnesty International melden wollte.
Interessant, dass hier mal Glorfindel erwähnt wird. Leider muss ich dir und deiner logischen, versuchten Nachvollziehung über die Gräber der Nazgul etwas widersprechen: Ersetze mal das Wort Logik durch Fantasy und Hexerei und hör mal auf wie ein Mensch zu denken. Warum hat Elrond nicht gegen Isildur gekämpft bei Herr der Ringe, als dieser sich abgewendet hat? Elben sind keine Menschen, die auf „töten“ machen oder Körper verbrennen oder irgendein Exorzismus ausführen an einem geistgebundenen Körper…eher flüchten sie…oder bannen sie einen Hexer. Na, ist diese Erklärung einleuchtend?
Noch nicht…? also gut:
Was ist der Fürst der Nazgul schon wieder? Genau, ein „HEXENKÖNIG“…und wenn du bei „LOTR“ etwas mehr Aufmerksamkeit an Gollum gegeben hättest, so wüsstest du ganz genau, dass ein Ringgeist und dessen Körper nicht einfach vernichtet werden können. Nazguls sind „gebundene Geister“…und hier kommts: Die Elben haben die Schlacht in Angmar gewonnen und Sauron galt als besiegt. Da aber Elben weder „Richter“ noch „Kundschafter und Kenner schwarzer Künste“ sind mussten sie eine andere Methode finden, wie sie die „Leichen“ verstecken. Warum sollen Glorfindel oder Elben etwas nachschauen, dass sie versiegelt haben?
Ist jetzt klar, warum diese Gräber?
Abgesehen davon ist dies nur eine mögliche Version. In den verschollenen Geschichten steht nirgends, wie genau Glorfindel + Co. den Hexenkönig „verfluchten“, sondern nur, dass der Hexer verbannt wurde…wie oder wie genau…ist Fantasy-Sache….und ich finde diese Version im Hobbit eine würdige Sache.
Was mir im Film mehr fragen aufwirft ist die ganze Sache auf Dol Guldur…die weicht eindeutig etwas von der Vorlage ab.
Bemerkenswert, dass hier doch noch gelegentlich gepostet wird.
Die Ringgeister sind ein faszinierendes Diskussionsthema – wie alle gut gemachten Schurken.
Leider existiert nur wenig Material, das meiste zum „Hexenkönig von Angmar“ in Anhang A, Teil III, des Herrn der Ringe, wo vom Untergang der nördlichen Königreiche Eriadors berichtet wird, in den Jahren 1300 des Dritten Zeitalters (Erstarken eines bösen Herrschers in Angmar) bis 1975 DZ (Sieg über den Hexenkönig in der Schlacht bei Fornost).
Gute Fantasy oder Science Fiction zeichnet sich dadurch aus, dass bestimmte Prämissen vorausgesetzt werden („Magie existiert.“, „Es gibt andere vernunftbegabte Wesen außer uns Menschen.“) und davon abgesehen alles Weitere einer der Geschichte innewohnenden Logik folgt. In Bezug auf den Hexenkönig gibt es schon bei Tolkien ein logisches Problem:
Wenn er nicht vernichtet werden kann, solange der Eine Ring existiert, warum kann ihm Merry in der Schlacht auf den Pelennor-Feldern dann die Kniesehne durchschneiden und Eowyn ihn durch einen Stich ins Gesicht vernichten? Oder ist er nicht vernichtet, sondern nur so stark geschwächt, dass er erstmal „nicht mehr mitspielen darf“, solange Sauron seine Energie nicht erneut aufgeladen hat? Aber wenn der zweite Fall zutrifft, warum schickt ihn der wiedererstarkte Sauron nicht binnen kürzester Zeit erneut ins Rennen, wie er es mit allen Ringgeistern kurz vorher schon gemacht hat, nachdem sie während Frodos Flucht an der Furt des Bruinen weggespült worden waren?