Für die imaginären Welten, in denen fantastische Geschichten spielen, gelten ganz eigene Gesetze, die mit der Realität nichts zu tun haben. Eine Spielwelt soll dem Spieler Gelegenheit für Erkundung und Abenteuer geben, sie soll sich im Laufe der Zeit dem Spieler erschliessen. Wenn man dies auf die Verhältnisse der realen Welt übertragen würde, bedeutet dies, dass jemand zu Fuß, zu Schiff oder zu Pferde die Erde umrunden würde. Einerseits haben große Entdecker so etwas in der Vergangenheit tatsächlich getan, es erforderte jedoch Jahre ihres Lebens. Als Spieler möchte man nicht gerne vier Wochen in Echtzeit einer Karawanenstraße folgen, bis man zur nächsten Stadt gelangt. Das bedeutet, die Welt muss schrumpfen. Die einfachste Methode ist es im Spiel wie im Roman, die Reise einfach wegzulassen oder kurz zusammenzufassen: „Nach langen Tagen erreicht Ihr völlig erschöpft die andere Seite der Berge und könnt die Stadt Dhanndcaer vor Euch liegen sehen.“ Oder so. In dieser Hinsicht kommt uns die Neverwinter Nights-Spielengine auch entgegen, da sie standardmäßig mit Gebietsübergängen arbeitet, das heißt, der Spieler kommt an die Grenze eines Spielgebiets und wird an den Anfang des nächsten Gebiets versetzt. Dieser Verzicht auf die Reise dazwischen wurde bei den D&D-Spielen bereits zwischen Baldur’s Gate und Baldur’s Gate 2 eingeführt; ich nehme an, weil den Entwicklern der Aufwand zu groß erschien. Dieser Verzicht auf Gebiete, die schlichtweg durchquert werden müssen, um an den Schauplatz des nächsten Abenteuers zu gelangen, schränkt aber andererseits den Forscherdrang des Spielers stark ein. Möglicherweise liegt ja doch ein paar Meter abseits der Straße, die man schon dutzende Male entlanggereist ist, das Höhlenversteck der Wegelagerer. Es gilt also, einen Kompromiss zu finden: Zwischen Reise- und Erkundungsmöglichkeiten nahtlos zusammenhängender Gebiete einerseits und der Großen Geografischen Reise, die die Spielergruppe um den halben Erdball befördert. Tja, und wie macht man dann so eine Landkarte? In den Anfängen von D&D nahm man eine existierende Karte, zB der Gegend um Chicago, und ersetzte die vertrauten Ortsnamen durch fiktive. Voila. Dieses Verfahren ist gar nicht so schlecht, weil man auf diese Weise eine gewachsene, realistische Besiedlungsdichte, Straßen, Felder etc erhält, die zur Topografie und zum Klima passen. Hauptnachteil ist der Ernüchterungseffekt, der eintritt, wenn der Spieler den Kartenausschnitt wiedererkennt. Oder man benutzt einen Zufallsgenerator wie zum Beispiel Greenfish. Das Problem dabei ist, dass zufällig generierte Karten stark nachbearbeitet werden müssen, um bespielbar zu werden. Man muss hinterher große Bereiche anpassen, verzerren, an bereits existierende Gebiete angleichen, damit nicht Grönland neben Australien liegt oder der Fluss, dem man eben noch gefolgt ist, plötzlich in der Savanne versickert. Reizvoll bei derart generierten Karten ist auf jeden Fall, dass sie für alle Beteiligten Überraschungen bieten, für die Spielentwickler und Storyschreiber ebenso wie für die Spieler. Die dritte Möglichkeit, eine Spielkarte zu machen, ist es, sich nach den Erfordernissen des Spiels zu richten, also beispielsweise das Gasthaus einen Tagesmarsch entfernt von der Stadt hinzustellen und die Räuberhöhle einen bequemen Fußmarsch weit vom Basar, auf dem man die Beute dann verkaufen kann. Hierbei besteht die Gefahr, dass alles zu synthetisch und durchkonstruiert wirkt. Wenn es bereits eine gut ausgearbeitete Fantasy-Welt gibt, vor deren Hintergrund die Geschichte spielt (Mittelerde, Forgotten Realms, Westeros), muss man sich „nur“ noch an die Umsetzung für das Spiel machen. Hierbei kann es jedoch passieren, dass man von Experten immer wieder darauf hingewiesen wird, was man verkehrt gemacht, übersehen, nicht ins richtige Verhältnis gesetzt oder falsch buchstabiert hat. Der Kreativität sind insofern Grenzen gesetzt, als man versuchen wird, eine solche Welt bis ins Detail nachzubilden, wie sie im Buch beschrieben wurde. Der beste Weg wird wohl irgendwo dazwischen liegen: Eine Zufallskarte als Rohmaterial und hinterher stark an die Erfordernisse des Spiels anpassen, zum Schluss die zum Gesamtkonzept passende Dosis Realismus, fertig.
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